Fragment 5

Viele kleine Schritte

Fribourg, nachmittags um drei. Ich bin dabei, eine wichtige Sitzung für den nächsten Tag vorzubereiten, als der Anruf aus Belgien kommt: «Morgen früh um acht müssen Sie in der Klinik sein für die Insemination.» Zwei Tage früher als erwartet! Ich kaufe zwei Last-Minute-Flugtickets – sie kosten ein Vermögen – unterrichte meinen Chef, dass ich morgen an der Sitzung fehlen werde, haste nach Hause und dann mit meiner Partnerin gleich weiter zum Flughafen. Unterwegs buchen wir das Hotel in Brüssel. Einmal mehr.


Für uns war es keine grosse Diskussion, wer versuchen würde, schwanger zu werden. Vero konnte sich eine Schwangerschaft durchaus vorstellen, Isa eher nicht. Auch bei der Wahl des Landes fiel die Entscheidung rasch: Belgien. In erster Linie, weil wir dort mit den Mediziner_innen in unserer Muttersprache kommunizieren können. Gleichzeitig aber auch, weil die Spender dort kein Geld für ihre Samenspende erhalten. Uns gefiel die Vorstellung, dass der Spender aus anderen, wohl selbstlosen Gründen, an der Entstehung unseres künftigen Kindes beteiligt ist. Nach kurzer Internetrecherche stellte sich allerdings heraus, dass die Spender in Belgien per Gesetz anonym bleiben müssen. Anders als beispielsweise in Dänemark, wird es dem Kind nicht möglich sein, mit 18 etwas über den Spender zu erfahren. Die Klinik wählt nach eigenem Gutdünken einen geeigneten Spender, basierend auf Gentests, medizinischen Tests und ganz groben Parametern wie Haar- und Augenfarbe der Partnerin. Dürfen wir das Kind der Möglichkeit berauben, mehr Details über die Identität seines Spenders zu erfahren? Können wir ihm das zumuten? Wird es uns später Vorwürfe machen? Wir haben uns dann trotz dieser Zweifel für Belgien entschieden; insgeheim in der Hoffnung, dass sich vielleicht in den nächsten Jahren das belgische Gesetz ändern könnte.


Ein Pauschalbetrag für drei Versuche schien uns befremdlich.

Bezüglich der Wahl der Klinik haben wir uns von Foren leiten lassen. Wir haben bei verschiedenen Kliniken angefragt. Eine wollte uns eine Art Flatrate andrehen: ein Package mit Ultraschall, Bluttests und drei Inseminationsversuchen für 3000 Euro. Hätte der erste Versuch geklappt, hätten wir gleichviel bezahlt. Irgendwie war uns das unsympathisch, es schien plötzlich nur noch ums Geld zu gehen.


Die Universitätsklinik war uns sympathischer und nach einem ersten obligatorischen Treffen mit einer Psychologin, entschieden wir uns für besagte Klinik. Für das Gespräch mussten wir nach Belgien fliegen und zwar alle beide, was natürlich wieder Kosten verursachte. Wir haben es aber wie Kurzferien angeschaut und waren froh, konnten wir uns einen Eindruck von der Klinik machen. Im Gespräch wurden uns unsere Rechte und Pflichten als Eltern erklärt, das medizinische Vorgehen und die belgische Rechtslage. Guter Dinge und mit einer ellenlangen Liste an zu machenden Tests sind wir in die Schweiz zurückgekehrt. Damit stellte sich gleich die nächste Frage: Welche_r Gynäkologe_in sollte uns begleiten? Unsere eigene Gynäkologin kam uns in der Vergangenheit eher nicht sehr zugänglich vor, daher versuchten wir erst, einen Termin bei einem anderen Arzt zu bekommen. Beim ersten hatten wir kein gutes Gefühl. Der zweite, den wir über eine Liste mit LGBT-freundlichen Ärzten gefunden hatten, nahm keine neuen Patientinnen mehr auf. Also versuchten wir es doch bei unserer eigenen Ärztin und waren überrascht, wie positiv sie reagierte. Wir wussten, dass sie sich in einer Grauzone bewegte. Bluttests und Ultraschalluntersuchungen sind an sich nicht illegal,

solange man sie selber zahlt, konkrete Hilfe bei der Erfüllung vom Kinderwunsch lesbischer Paare hingegen schon.


Nach vier Monaten, in denen jeweils am ersten, fünften und neunten Zyklustag Hormontests durchgeführt worden sind, konnten wir mit unseren Resultaten zurück nach Belgien. Der Gynäkologe gab uns grünes Licht plus ein Rezept für eine Ovulationsspritze. Mit diesem kamen wir in der Schweiz allerdings nicht weit: Die halbe Apotheke war versammelt, um uns zu erklären, dass nur Rezepte von Schweizer Ärzten gültig seien. Wir machten also eine Shopping-Tour nach Frankreich, wo das EU-Rezept kein Problem darstellte. Über solche kleine Hürden könnte man sich aufregen. Wir haben aber einfach jede zusätzliche Reise, jeden zusätzlichen Schritt und alle Kosten als notwendig und als so positiv wie möglich angesehen. Was am Ende zählt, ist die Familie, die wir gründen wollen und werden.


Im folgenden Zyklus konnten wir einen ersten Versuch starten. Grundsätzlich hätten wir in den Tagen um den Eisprung jeweils in der Schweiz einen Bluttest und Ultraschall machen können und die Werte vor 13 Uhr nach Belgien schicken müssen, um dann um 15 Uhr zu erfahren, ob der Follikel schon gross genug und eine Insemination am nächsten Tag sinnvoll gewesen wäre. Bloss fiel die Phase um den Eisprung gerade auf ein Wochenende. Keine Chance, da bei unserer Gynäkologin einen Termin zu erhalten. Wir planten also ein verlängertes Wochenende in Brüssel und hatten sehr viel Glück: Die Tests am Samstag ergaben, dass die Insemination am Sonntag stattfinden konnte. Wir mussten also am Montag nicht mal auf der Arbeit fehlen. Auch sonst war das Glück auf unserer Seite: Zwei Wochen später hatte ich einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen! Der erste Versuch war bereits erfolgreich! Kaum fünf Wochen später kündigte ich meinem Chef die Schwangerschaft an. Wenige Tage darauf musste ich ihm mitteilen, dass wir das Baby verloren hatten. Du weisst natürlich, dass das passieren kann, aber wenn es dann tatsächlich passiert, ist das nochmals etwas ganz anderes. Jede von uns hat auf ihre Art unter dem Verlust gelitten. Gleichzeitig schweisste uns die Trauer zusammen und bestärkte uns nochmals in unserem Kinderwunsch. Wir wollten es möglichst bald erneut versuchen. Belgien verlangte aber eine Pause von vier Monaten, um dem Körper Zeit zu geben, sich zu erholen.


Die Monate vergingen und uns wurde klar, dass der nächste Versuch um Weihnachten stattfinden konnte. Wir hatten also erneut das Glück, unsere Arbeitgeber nicht informieren zu müssen und konnten entspannte Ferientage in Brüssel verbringen. Trotzdem waren wir in der Klinik angespannt. Wir wussten nun, dass es klappen konnte, hatten aber auch die Erfahrung sehr präsent, erst kürzlich ein Baby verloren zu haben. Dieser Versuch hat zu keiner Schwangerschaft geführt.


Die nächste Eisprungphase fiel nicht auf ein Wochenende. Ich war also am Dienstagvormittag zum Ultraschall bei meiner Gynäkologin, die ich im vergangenen Jahr wohl öfter gesehen hatte, als meine Verwandten. Um 15 Uhr rief die Klinik an und wir mussten Hals über Kopf nach Belgien fliegen. Nach meiner Berechnung wäre der Eisprung eigentlich auf den Freitag gefallen, aber offenbar war ich leicht verschoben. Mein Chef nahm die Ankündigung, dass ich am Folgetag eine wichtige Sitzung verpassen würde, sehr gelassen. Er betrachtete das Ganze als medizinische Notwendigkeit und ich konnte problemlos frei nehmen. Isa hatte in der Woche ohnehin frei eingegeben, da sie auf die Schlussprüfung einer Weiterbildung lernen wollte. Obwohl wir schon bald ein Jahr mit dem Kinderwunsch beschäftigt waren und die Uniklinik verlangt, dass man zu allen wichtigen Terminen zu zweit kommt, musste Isa also nie ihren Arbeitgeber informieren oder frei nehmen.



In weniger als 24 Stunden reisten wir also nach Belgien und zurück. Im Vergleich zu den letzten beiden Versuchen konnten wir nicht mit dem Auto fahren, das wäre zeitlich nicht aufgegangen. Die Last-minute-Flüge waren entsprechend sehr teuer und das Ganze war sehr stressig. Dennoch hat es geklappt. Vielleicht lag es ein bisschen an der Ärztin, die sich mehr Zeit für uns genommen hatte, als die Ärzte bei den letzten Versuchen. Vielleicht war es einfach perfektes Timing und sehr viel Glück. Auf jeden Fall wurde ich schwanger und der Kleine wird nächsten Monat zur Welt kommen.


Im Vergleich zu anderen Paaren können wir uns glücklich schätzen. Die ganze aktive Kinderwunschzeit mit Kliniksuche, Vorgespräch, medizinischen Tests, Zyklusbeobachtungen und Inseminations-Versuchen, hat bei uns nur etwas mehr als ein Jahr gedauert und uns etwa 12’000 Franken gekostet. Das teuerste daran waren die Reisen nach Brüssel. Hätten wir mehr Versuche gebraucht oder hätten wir sogar auf IVF ausweichen müssen, wäre alles viel belastender und teurer geworden.


Das ist eine weitere Absurdität der aktuellen Rechtslage.

Was uns aktuell noch beschäftigt, ist das Schweizer Namensrecht. Als wir vor ein paar Jahren unsere Partnerschaft eintragen liessen, hat Vero meinen Namen angenommen. Dies durchaus mit dem Ziel, dass künftige Kinder zwar Veros Gene, aber meinen Namen tragen werden. Wie wir mittlerweile erfahren haben, wird das Baby allerdings erst Veros Ledigennamen erhalten, obwohl weder sie noch ich diesen Namen führen. Dies ist eine weitere Absurdität der aktuellen Rechtslage. Das Gesetz fragt, ob die biologische Mutter verheiratet ist. Ist dies nicht der Fall, bekommt das Kind ihren Namen. Da die eingetragene Partnerschaft aber nicht als Ehe zählt, erhält das Kind den Ledigennamen der biologischen Mutter. Auch wenn diese, wie in unserem Fall, den Namen ihrer Partnerin angenommen hatte. Nach der Geburt dürfen wir also nochmals 700 Franken in die Hand nehmen und eine Namensänderung beantragen, so, dass wir dann in einem Jahr, wenn wir das Adoptionsverfahren in Gang setzen dürfen, immerhin schon alle drei den gleichen Namen tragen.


Aber wie gesagt, wir lassen uns von solchen Hindernissen nicht entmutigen. Das Wichtigste ist, dass wir zusammen glücklich sind und bald ein gesundes kleines Menschlein in den Armen halten dürfen.


Anmerkung: Die ganze Kinderwunsch-Zeit von Isa & Vero war noch vor der Pandemie und gute 2 Jahre vor der Abstimmung für die Ehe für alle.




Come together

Verein Regebogenfamilien Schweiz: fördert die soziale und rechtliche Gleichstellung von Regenbogenfamilien; ermöglicht Vernetzung und Austausch; bietet Beratung
https://www.regenbogenfamilien.ch/


LGBT-freundliche Gynäkolog_innen in der Romandie: Listen auf Anfrage bei Lilith (Waadt) oder Lestime (Genf) erhältlich



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