Fragment 2

Fettnäpfchen-Label

Partnerschaft ist in unserer Gesellschaft so ein grosses Thema. Da kam ich irgendwann nicht mehr darum herum, bei dem Spiel mitzuspielen. Und trotzdem war es für mich nie wichtig genug, um mal wirklich richtig hinzuschauen. Kurz hinschauen, denken: Pffff, ich komme diesem Typen so nahe, das ist so intim und irgendwie empfinde ich doch nicht das, was offenbar meine Kolleginnen beim ersten Freund so geflasht hat. Kann ich das gar nicht fühlen? Bin ich dazu gar nicht fähig? Und dann wieder wegschauen und denken: Ist ja vielleicht einfach noch nicht der Richtige.

Im Nachhinein betrachtet, habe ich es wohl schon irgendwie geahnt, aber es war einfach negativ behaftet und irgendwie trotzdem schlimm. Ich wollte es einfach nicht sein. Meine klassische Aussage damals war so im Stil von: Ich bin ja voll tolerant. Aber bei mir nicht, eh nicht, nein. Ich doch nicht. Es ist schon irgendwie erstaunlich, dass ich, obwohl ich eigentlich nichts übers Lesbisch-Sein gewusst hatte, doch ein negatives Bild davon hatte. Und ein klischiertes Bild. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Situation im Bus, wo mir ein lesbisches Paar aufgefallen ist und zwar vermutlich genau deshalb, weil die eine der Frauen einem Stereotyp entsprach. Sie war so sichtbar, dass ich sie bemerken musste. Die zwei haben mich ziemlich irritiert und ich habe mich innerlich so richtig schön darüber empört, dass eine mit einer anderen Frau zusammen sein will, obwohl diese ja fast wie ein Mann aussieht. Für mich war klar, dass das nichts für mich ist, und trotzdem war ich fasziniert und getriggert. Ähnlich wie bei Männern:

Ich kann aus meinem heteronormativ geformten Blick sagen und es auch wirklich so meinen, dass ich einen wohldefinierten Männerkörper mega schön finde. Aber diese optische Attraktivität ist auch zusammen mit dem Gefühl, emotional total auf der gleichen Wellenlänge zu sein, einfach nicht genug. Es war immer so ein Suchen und Abchecken: Das ist nichts für mich, das aber auch nicht. Das hat ziemlich lange so gedauert. Noch mit achtzehn oder neunzehn hatte ich mal in einer Bar, die queer-friendly und offen war, das Gefühl: Die Stimmung ist mega cool, die Leute sind glaub‘ mega cool, aber ich passe hier eigentlich gar nicht rein.


Etwas später, ich war damals mit meinem zweiten Freund zusammen, habe ich zum ersten Mal eine Frau kennengelernt, die offen lesbisch war. Und erst da wurde es für mich deutlich: Ich sehne mich nach Austausch und habe mega viele Fragen an sie. Von ihr kommen Signale und das ist interessant. Es hat dann doch noch einen Kuss gebraucht, bis ich verstand: Ok, das will ich. Aber jetzt wird mir das hier alles too much. Da war noch dieses Zerbrechliche in mir, dieses Komm-mir-bloss-nicht-zu-nahe, ich muss das alles erst selbst greifen, begreifen, damit umgehen können. Das Ganze war mega schmerzhaft, mega viel Chaos. Und gleichzeitig endlich Klarheit. Dieses bewusste Verstehen. Dieses reale Erleben, dass auch bei mir Gefühle entstehen können, dass auch ich mehr empfinden kann, was ich bei einem Mann ja nie gespürt hatte. Natürlich bin ich auch zuvor Frauen begegnet, bei denen ich das Gefühl hatte: Wow, da kommt mir was entgegen, die ist charismatisch, die hat eine coole Ausstrahlung. Mir war schon mit zehn klar, dass Frauen generell einfach schön und ästhetisch sind. Aber das Ganze ist halt nie gross genug geworden, als dass ich es wirklich hätte anschauen müssen. Es gab genug Anderes in meinem Leben, mit dem ich mich ablenken konnte. Und das ist auch gut so. Ich bin froh um diesen Mechanismus, dass das zwar innerlich arbeitet und immer mal wieder aufpoppt, aber erst dann wirklich zum Thema wird, wenn man die Ressourcen mobilisieren kann, damit irgendwie umzugehen.


Dann beginnst du, dich im Internet zu informieren und stösst immer wieder auf das gleiche Narrativ: “Uiii, es ist schwierig.”

Zeitgleich mit dieser ersten Begegnung mit einer Frau habe ich mit meinem Freund Schluss gemacht. Ich wollte einen Neustart. Und zwar einen für mich selbst. Demnach war es keine Option, mich direkt in eine Frauenbeziehung zu stürzen. Ich wollte mich erst selbst entdecken und verstehen und mich dann langsam mit dem, was sich in mir aufgetan hatte, in die Welt trauen. Und zwar in meinem eigenen Tempo und ohne diesen Prozess von einer anderen Person abhängig zu machen.


“Hast du einen Freund? Oder eine Freundin?”

So richtig-richtig hatte ich daher dann erst im Hochschulkontext mit queeren Leuten zu tun. Und dieses Interesse füreinander, diese Offenheit und die Reflexion, die diese Personen bereits hinter sich hatten, haben mich total geflasht. Das war ein ganz anderes Narrativ als das von solchen Coming Out Stories, die du im Internet findest. Für mich wurde es in diesem Umfeld viel einfacher. Der Umgang untereinander war persönlicher, wir haben uns auch im Rahmen unterschiedlicher Projekte oftmals über unsere persönlichen Erfahrungen ausgetauscht. Ich lernte Kommilitonen kennen, die bereits queer lebten. Diese Lebensform wurde für mich plötzlich fassbarer, denn sie wurde ja bereits gelebt! Ich konnte mich also vorsichtig und geschützt mit ihnen austauschen und gewann immer mehr Klarheit und Sicherheit in dem, was ich will, und was nicht. Gleichzeitig war die Grundstimmung an der Hochschule einfach generell offener, auch in nicht-queeren Gruppen. Jemand hat mich zum Beispiel mal gefragt: Hast du einen Freund? Oder eine Freundin? Das fand ich mega schön. Und es war für mich super wichtig zu verstehen und zu erfahren, dass ich auch in einem Rahmen, wo nicht nur Queers sind, akzeptiert und angenommen werden kann.


Etwa im gleichen Zeitrahmen habe ich angefangen, mich online mit Frauen auszutauschen. Und da kam dann auch der Reality-Check: Bei einem ersten Date, das ich selbst im Vornherein gar nicht als solches angesehen hatte, war ich mir plötzlich zum erstem Mal so richtig sicher: Yessss! Wow, krass! Ok, das ist eine fremde Person, wir kennen uns überhaupt nicht, aber ich spüre so eine richtig enge Verbundenheit, eine mega Anziehung, etwas, das weit über eine kleine Schwärmerei hinausgeht.
Wir sitzen also so den ganzen Nachmittag lang im Park, chillen, trinken Bier, haben mega intensive Gespräche und plötzlich reisst mich meine Schwester aus dieser Traumwelt, indem sie anruft und fragt, ob ich zum Grillen vorbeikommen möchte. «Ähm ja, warte, ich sitze hier mit einer, ähm, Kollegin im Park, wart’ ich frag sie, ob sie mitkommen mag.»  Besagte «ähm-Kollegin» sagt direkt zu, ich hänge auf und denke nur: OMG, wie grössenwahnsinnig! Sie denkt ein bisschen praktischer und meint: «OMG, was sagen wir jetzt? Wir müssen uns eine Geschichte ausdenken, falls jemand fragt, woher wir uns kennen!» Was meine Schwester dann am Abend auch prompt macht. Wir verstricken uns in unsere Geschichte, die wir uns noch rasch vor der Haustür ausgedacht hatten, lügen mega schlecht, aber irgendwie ist es egal.

Das war echt lustig, so ein crazy first date, völlig absurd. Aber für mich war das Ganze extrem wichtig. Das Yes-Gefühl war so klar, dass ich das wirklich ohne Zweifel zuordnen und auch als Anlass nehmen konnte, darüber zu sprechen, dass ich auf Frauen stehe. Gerade mit meiner Schwester, die ja dabei war und die – wie sich dann herausstellte - schon vor unserer Lügengeschichte die Vibes zwischen mir und der vermeintlichen «Kollegin» gespürt hatte, ohne wirklich zuordnen zu können, was das zwischen uns eigentlich war.


Wieso habe ich eigentlich ein Problem mit diesem Wort?

Das war also alles ein langer Prozess über viele Jahre hinweg. Ich musste für mich erst herausfinden, wie viel Definition oder Sicherheit oder Positionierung ich brauche, damit ich mich wohlfühle. Erst dachte ich, ich muss mich ja gar nicht definieren. Was für Viele vielleicht der Endpunkt ist, war für mich also der Anfangspunkt. Obwohl ich kein Etikett gesucht hatte, war mir dann doch irgendwann klar: Ok, mein Label ist lesbisch. Aber mir gefällt das Label nicht. Oder zumindest nicht das, was ich damit verbinde. Da musste ich mich schon fragen, was ich eigentlich für ein Problem mit dem Label hatte. Denn eigentlich sagt es ja lediglich das aus, was ich bin: Dass ich Frauen liebe. Ich habe es dann als meine Aufgabe angesehen, mich damit auseinanderzusetzen und herauszufinden, was mich an dem Wort „Lesbe“ eigentlich stört, warum ich es so hässlich finde. Diese Diskussion habe ich heute noch mit vielen Menschen und durch die Auseinandersetzung damit löst sich mein innerer Widerstand bis zu einem gewissen Punkt auf, weil ich eher dahinter sehe. Für mich hat das Wort «Lesbe» dennoch so etwas Rauhes und Rotziges. Ist ja geschichtlich gesehen auch ein Kampfbegriff und diese kämpferische Seite ist natürlich von grosser Bedeutung. Aber für mich deckt es die andere Seite, die weiche und sensible, die für mich mega wichtig ist, irgendwie nicht ab. Ich wechsle auch immer zwischen: Ich bin lesbisch, also frauenliebend, also ich liebe Frauen, ich stehe auf Frauen. Weil ich das einfach so viel schöner finde.

delia giandeini (unsplash)

Auch das andere Kampf-Ding, dieses BE PROUD und schreie es raus, finde ich nicht immer die richtige Lösung für jeden Menschen. Und deshalb konnte ich mich vermutlich auch mit einem gewissen Teil der Community nicht ganz identifizieren. Ich finde es mega schön und verstehe es auch, dass es super wichtig ist für einen selbst oder für die Gruppe, wenn man das so feiert. Aber für mich hat das nicht gepasst, ich bin einfach als Person nicht so. Ich wollte meine Sicherheit aus der Auseinandersetzung schöpfen und nähren und nicht einfach aus diesem Push raus: «Ja, ich bin lesbisch!» Das gibt mir keine Sicherheit, wenn ich mich so pushe. Ich musste mich erst langsam herantasten, bis ich wirklich dahinterstehen und sagen konnte: YES, das ist so. Und wenn du ein Problem damit hast, dass ich auf Frauen stehe, dann ist das dein Problem.

Was nicht heisst, dass ich still bin und Stigmatisierungen und falsche Bilder einfach so stehen lasse. Ganz im Gegenteil. Es ist mir sehr wichtig, mich eben gerade nicht nur in dieser Queer-Bubble zu bewegen und dort zu versanden, wo mich eh jeder versteht. Ich habe diesen persönlichen Anspruch an mich selber, mich gewissen Kontroversen auch immer wieder auszusetzen, wenn ich es als nötig empfinde und ich die Ressourcen dazu habe. Es geht mir darum zu sensibilisieren, auf fehlende Rechte der Queercommunity hinzuweisen, meinen Beitrag zur Sichtbarkeit zu leisten. Es gibt uns in so vielen unterschiedlichen Arten und Weisen und wir leben so verschiedene Leben. Deshalb ist es mir wirklich wichtig, Vorurteile und klischierte Bilder, wie ich sie ja selber hatte, zu brechen und wenn ich mit meinen eigenen Geschichten in einem Gespräch dazu beitragen kann, dann mache ich das auch. Da springe ich dann schon über meinen Schatten und erzähle etwas Persönliches, das vielleicht im Widerspruch zu einer Annahme steht und deshalb das Bild meiner Gesprächspartner_innen erschüttert oder wenigstens ein bisschen durchschüttelt. Also, sofern gute Bedingungen für ein Gespräch auf Augenhöhe und im gegenseitigen Respekt gegeben sind.

Bei meinen ersten Coming-outs habe ich manchmal als Komplimente verkleidete homophobe Äusserungen gehört und da musste ich erst herausfinden, wie ich damit umgehen wollte. Ich habe dann mit mir einen Pakt geschlossen, so im Sinne: Hey, ich übe mich jetzt einfach darin und wenn ich mich schützen muss, dann schütze ich mich. Aber wenn ich kann, dann gebe ich Kontra und irritiere halt auch, weil ich es so wichtig finde, dass man gewisse Sachen nicht einfach so stehen lässt.

Es braucht schon Mut, nach einem vermeintlichen Kompliment das Gegenüber zu fragen: « Aha? Und wo ist da jetzt genau der Zusammenhang? Was hat das jetzt mit meiner sexuellen Orientierung zu tun? Ich habe nichts dafür getan, dass ich irgendwie herzig bin. Genauso, wie ich nichts dafür getan hab’, dass ich auf Frauen stehe.» Das braucht Mut und auch gewisse sprachlose Momente, wo du dann so merkst: Fuck, ich kann jetzt gerade trotzdem nichts dazu sagen. Aber ich finde, mit der Zeit wird das einfacher. Und ich muss sagen, gewisse Sätze höre ich auch gar nicht mehr so oft. Ich habe sogar schon manchmal die Reaktion erlebt, dass jemand auf mein Coming-out meinte: «Ja, bei dir habe ich mir das fast gedacht.» Das finde ich jeweils immer mega schön, weil es mir zeigt, dass ich das mittlerweile offenbar doch irgendwie auch ausstrahle.




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